Begegnung mit Jürgen Theobaldy   

(Bern/CH)

in Zusammenarbeit mit der Universiteit Gent mit Unterstützung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und der Schweizer Botschaft in Brüssel

Jürgen Theobaldy liest aus seinem neuen Roman Trilogie der nächsten Ziele (2003)

sowie ältere und neuere Gedichte:

Montag, 1. März 2004, 19.30 Uhr in der K.U. Brussel

Zuletzt erschienen:


Trilogie der nächsten Ziele (2003)

Jürgen Theobaldy

 

Leseprobe:

Der Winter hat begonnen und wird sicher kälter werden, als er hierzulande ohnehin wird. Denn der Staub schwächt das Sonnenlicht, und am Morgen ist die Luft eisig. Ein weißer Teller hängt am Himmel, über den die Schwaden ziehen, dunkle Staubfahnen oder Wolken, das lässt sich schwer unterscheiden, sicher durchmischt sich beides. Wenn die trübe Schicht sich für kurze Zeit aufhellt, ohne dass dabei blaue Flecken sichtbar werden, glitzert der Staub golden, und dieses märchenhafte Flimmern mag ich, weil es mich an die Abenteuerfilme erinnert, die ich als Junge gesehen habe. Heute Morgen aber war der Staub nichts als eine finstere Fahne am Himmel, und keiner weiß, wer diese Fahne vor sich her trägt und zu wessen Ehren sie weht. (Aus: Trilogie der nächsten Ziele)

 

Jürgen Theobaldy, geb. 1944 in Straßburg, Jugend in Mannheim, kaufmännische Lehre, Studium an der PH in Freiburg und Heidelberg, danach Studium der Literaturwissenschaft in Heidelberg und Köln, seit 1974 in Berlin (West), lebt seit 1984 in der Schweiz, seit 1988 in Bern. Mit seinen ersten Lyrikbändchen Sperrsitz (Köln: Palmenpresse, 1973), Blaue Flecken (Reinbek: Rowohlt, 1974; Neuausgabe:München: BUCH & media/Lyrikedition, 2000) und Zweiter Klasse (Berlin: Rotbuch, 1976) wurde Jürgen Theobaldy nach der 68er Studentenbewegung Mitte der siebziger Jahre mit seiner Alltagslyrik zum Repräsentanten der sogenannten Neuen Sensibilität. Wie Günter Herburger, Nicolas Born und Rolf Dieter Brinkmann bemühte er sich als Ausweg aus der Sackgasse der hermetischen Lyrik um den neuen Ansatz einer "unartifiziellen Formulierung" (Vgl. Veränderung der Lyrik. München: text + kritik, 1976). In mehreren Gedichtbänden erkundet Theobaldy seit Ende der siebziger Jahre verschiedene lyrische Sprechweisen, weshalb ihn Hans Christoph Buch als ein "im Verborgenen blühendes Talent" (Die Zeit, 25.01.2001) bezeichnet, und der Verfasser von Immer wieder alles (Lüneburg: zu Klampen, 2000, 2001) "zu einem der besten deutschen Gegenwartslyriker" (FAZ, 1.10. 2001) gerechnet wird. . Jürgen Theobaldys erfolgreicher erster Roman Sonntags Kino (Berlin: Rotbuch, 1978; Neuausgabe: Köln: Palmenpresse, 1992) spielt 1960 im Mannheimer Halbstarkenmilieu. Sein zweiter Roman Spanische Wände (1981), die Geschichte einer Trennung, erschien 1984 in einer novellistisch zugespitzten Fassung (Reinbek: Rowohlt Taschenbuch). Im Umfeld des Erzählbandes Das Festival im Hof (Berlin: Rotbuch, 1985) entstanden schon um 1986 die ersten Fassungen der Geschichte eines Asylbewerbers, die mit zwei weiteren Erzählungen aus den neunziger Jahren später zum dritten Roman konstruiert wurde, und den man in Anspielung auf Meinrad Inglin schon als "'Schweizerspiegel' des 21. Jahrhunderts" (WoZ, 29.05.2003) bezeichnet hat. Als sprachliches "Glanzstück im Zwielicht" (NZZ, 27.05.2003), diffuses "apokalyptisches Endzeitgemälde" (FAZ, 29.08.2003) wird dieser Gegenwartsroman inzwischen von mehreren Seiten gelobt und gar mit Kafkas Schloss (FAZ), Camus' Pest und in seinem "Sog des Kargen" (SZ, 10.11.2003) auch mit J.M. Coetzee verglichen. Wie Georg Kleins Roman Barbar Rosa (der übrigens eine vergleichbar lange Entstehungsgeschichte hat) vor dem Hintergrund einer manchmal surreal anmutenden deutschen Hauptstadt, so hat Jürgen Theobaldys Trilogie der nächsten Ziele (Springe: zu Klampen, 2003) vor dem Hintergrund einer erfundenen schweizerischen Hauptstadt in der deutschsprachigen Literatur der Jahrhundertwende einen ganz neuen poetischen Ton eingeführt.

Daniel de Vin